Sonntag, 19. Oktober 2014

Das Theater scheint ein Ausweg zu sein

Nach Caesar haben Nachwuchsregisseur Danijel Szeredy und sein Team ein weiteres Projekt auf die Beine gestellt: Try – Bukowski – Versucht ehrt einen Schriftsteller, dessen Lebensinhalt von Leidenschaft, Exzess und Wut geprägt war.

Dieses Mal jedoch befinden wir uns nicht im muffeligen Keller der Kleinen Künste, sondern im Rationaltheater. Die roten Wände, die Plüschsessel, die Bar aus dunklem Holz, diese Mischung aus Kaschemme, Puff und Salon, das ist es, was die Atmosphäre realistisch macht. Und wenn er, der große Charles Bukowski, damals nach München gekommen wäre, dann hätte er wohl hier seine Lesung gehalten. Er wählte aber Hamburg als Ort des Geschehens, 1978 trat er im Zuge seiner Ochsentour in der restlos ausverkauften Markthalle auf und begeisterte tausende Menschen mit seinen Gedichten.

Charles “Hank” Bukowski war vor allem eines: eine destruktive Persönlichkeit. Alkohol, zahlreiche gescheiterte Beziehungen und sein weitreichender Welthass machten ihn zum enfant terrible der Schriftstellerszene. Noch nach seinem Tod ließ er seinem Zynismus freien Lauf: DON’T TRY steht auf seinem Grabstein. Versuch’s nicht erst.
Foto: Laura Spes
Das Team um Szeredy versucht es trotzdem. 36 Jahre später, mit wenig Mitteln, viel Talent und flaschenweise Weißwein. Aus Tagbuchschnipseln, Videoaufzeichnungen, Prosafragmenten und Selbstgeschriebenem bastelt es das Portrait eines Künstlers, der immer auf der Suche war. So wie die Theaterschaffenden selbst offenbar auch; “in seinen Texten gibt es Momente der Wiedererkennung, die uns faszinieren; sie skizzieren ein Grundgefühl von ambivalenter Einsamkeit und Heimatlosigkeit, mit dem wir uns zu großen Teilen und in hohem Maße identifizieren können.”, heißt es im Programmheft.

Und so suchen sie, in Paris, in Andernach, in Hamburg und Kalifornien und nehmen den Zuschauer mit auf einen mit traurigen Klavierklängen untermalten und schwer alkoholumnebelten Trip. Man verliert sich leicht in der Romantik des Schriftstellerdaseins. Es hat was, dieses Bukowski-Leben. Die aus der Verzweiflung geborene Lust am Schreiben, das Lotterleben mit den Ladies, der Hass, der Rausch.

I was drawn to all the wrong things: I liked to drink, I was lazy, I didn’t have a god, politics, ideas, ideals. I was settled into nothingness; a kind of non-being, and I accepted it. I didn’t make for an interesting person. I didn’t want to be interesting, it was too hard. What I really wanted was only a soft, hazy space to live in, and to be left alone.

Nothingness – was für ein akkurates Wort. Identifikationspotential für unsere verlorene Generation hat es eindeutig. Deswegen sympathisiert man auch stark mit diesem abgefuckten, fremdgehenden Chauvinisten, der er ist. So lange, bis ein Videomitschnitt eingespielt wird, der Bukowski und seine große Liebe Linda Lee zeigt. Also den echten, wahren, großporigen Charles Bukoswski. Von Liebe ist da nicht viel zu spüren, er tritt, beschimpft und verhöhnt die zarte Frau neben ihm, sein Gesicht rötet sich vor Wut. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht. Hinfällig ist der romantisch verklärte Postpessimismus, vergessen die Sympathie. Es bleibt das verzerrte Bild des selbsternannten Dirty Old Man, welcher alles Leben um sich herum verachtet. Und die Erinnerung an fünf exzellente Schauspieler, die professionell mit ihren Rollen jonglieren. Fast dokumentarisch anmutende schnelle Szenenwechsel, panisch echt wirkende Wutanfälle, lautes Flaschenklirren; es fügt sich alles zu einem Kunstwerk zusammen. Es ist keine Huldigung, keine Karikatur des Ausnahmepoeten Bukowskis, sondern mehr eine feinsinnige Interpretation des vorhandenen Materials.

Diese Inszenierung ist wie der Wein, den Bukowski so liebte: zu viel davon würde Kopfschmerzen verursachen. Nach diesem zweistündigen Abend verlässt man das Theater aber allenfalls mit einem angenehmen Schwips. Gratulation zu einem äußerst gelungenen Stück.

Mit: William Newton, Lev Semenov, Isabel Will, Naima Laube und Danijel Szeredy

Weitere Vorstellungen am 29.10., 30.10., 12.11., 13.11., 14.11.2014 jeweils um 20 Uhr. 16/8 Euro
Im Rationaltheater
Hesseloherstraße 18
80802 München

Reservierungen unter: bukowski@rationaltheater.de

Freitag, 17. Oktober 2014

Ich bin der Neue

Sein Lebenslauf liest sich so, wie sein Name für deutsche Ohren klingt: außergewöhnlich. Jisroel Iftach Wilbuschewitz, oder Jeff Wilbusch, wie er sich nennt, ist seit der neuen Spielzeit fest an den Münchner Kammerspielen angestellt – und das noch vor seinem Abschluss an der Otto-Falckenberg-Schule. Das Ausnahmetalent aus Israel erzählt im Interview, auf welchen Umwegen es ihn an die Kammerspiele verschlagen hat und wieso kontroverse Themen auf die Bühne gehören.

© Janine Guldener
Du hast zunächst Wirtschaftswissenschaften in den Niederlanden studiert. Wie kam es dazu?

Meine Mutter wurde in Holland geboren, deshalb lag das nahe. Außerdem hat es mich interessiert, wie Geld ‚funktioniert‘, und in welchem Verhältnis dazu das Glück steht. Das wurde auch das Thema meiner Abschlussarbeit. Mir war zwar schon im zweiten Semester klar, dass aus mir definitiv kein Investmentbanker wird, aber es war mir wichtig, das Studium zu Ende zu bringen. Und ich bin froh, das durchgezogen zu haben, ich hab‘ viel daraus gelernt.

Hattest du vorher schon Avancen, Schauspieler zu werden?

Nein, gar nicht. Ich war auch eher selten im Theater. Ich hab‘ viel Musik gemacht während meiner Schulzeit (The Jeff Project, Anm. d. R.), irgendwann kam dann jemand auf die Idee, dass ich mal zum Vorsprechen gehen sollte. In Israel wurde ich an einer Schauspielschule angenommen, noch während ich parallel meine Masterarbeit geschrieben habe. Und dann hörte ich davon, dass man hier in München noch zwei Männer für den nächsten Studiengang an der Otto-Falckenberg-Schule sucht, das war im Juli 2011.

Warum Deutschland, warum München?

Ich habe einen deutschen Pass. Viele Mitglieder meiner Familie sind deutsche Juden, die während der NS-Zeit nach Israel geflohen sind. Ich war zuvor nie in Deutschland, wollte aber immer verstehen, woher ich komme. Was ‚Deutschland‘ bedeutet. Deshalb bin ich zum Vorsprechen gekommen, auch wenn ich damals kein Deutsch konnte und niemanden hier kannte.

Es ist beachtlich, dass du sofort angenommen wurdest. Viele bereiten sich jahrelang auf die Aufnahmeprüfungen vor und werden trotzdem immer wieder weggeschickt.

Ja, das war schon irgendwie komisch. Man weiß ja, dass sich hunderte Leute für diesen Platz bewerben. Ich hatte auch anfangs nicht den Anspruch, angenommen zu werden. Ich dachte aber, dass das bestimmt eine schöne Erfahrung sein könnte. Wer weiß, vielleicht wurde ich ja nur deshalb angenommen, weil ich zuvor nie wirklich Kontakt mit dem Theater gehabt habe und deshalb anders an die Sache rangegangen bin?

Was hast du beim Vorsprechen vorgetragen?

Einen Monolog aus Henrik Ibsens Ein Volksfeind. Lustige Auswahl, ich weiß (lacht). Außerdem noch einen selbstgeschriebenen Monolog. Das fand ich sehr schön, die Falckenberg ist meines Wissens die einzige Schule, an der man was Selbstgeschriebenes vortragen darf.

Du hast den Ibsen-Monolog auf Deutsch vorgetragen? Obwohl du noch kein Deutsch konntest?

Ja. Ich habe viel mit deutschen Bekannten geübt, ich spreche ja auch Jiddisch und Holländisch, deswegen ging das schon. Klar, Hochdeutsch war das nicht wirklich. Aber mittlerweile hab ich ein bisschen Flow, wenn ich Deutsch spreche (lacht).

Warum Theater – und nicht Film?

Wenn sich was ergibt, würde ich auch Filme machen. Alles, was mich interessiert, würde ich machen. Aber eine Mauer baut man auch nur Stein für Stein.

Gibt es irgendetwas, was du auf der Bühne niemals tun würdest?

Nein. Wenn das berechtigt wäre und ich es nachvollziehen könnte, würde ich, denke ich, alles machen.

Was begeistert dich am Theater?

Die Auseinandersetzung mit Themen, die sonst vielleicht unter den Teppich gekehrt werden. Das hat man bei Die Neger gesehen. Viele sagen zum Beispiel, Rassismus gibt es in unserer Gesellschaft nicht mehr. Das ist falsch! Jeder von uns ist ein bisschen rassistisch. Jeder von uns hat eine gute und eine böse Seite. Die Auseinandersetzung mit diesen Problemen, das ist es, was Theater interessant macht. Natürlich wäre es einfach, ein angenehmes, lustiges Stück zu präsentieren. Das wäre dann erfolgreich, das Publikum würde es mögen. Aber die Diskussionen, die allein der Titel des letzten Stückes ausgelöst hat, zeigen doch, dass man diese kontroversen Thematiken ansprechen sollte.

Das Theater soll uns also helfen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen?

Richtig. Ich denke, wenn da Leidenschaft und klare Gedanken dahinter stehen, ist das auch möglich. Und gerade die Themen, die wir ungern ansprechen, die gehören auf die Bühne.

Vielen Dank für das Interview!

Jeff ist zu sehen in

Die Neger von Jean Genet
Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth

Gekürzte Fassung. © Juliane Becker

Dienstag, 14. Oktober 2014

Schwarze Abgründe

In einem Zeitalter, in dem wir es aus Kinderbüchern entfernen lassen, ist es mutig ein Stück zu inszenieren, welches das N-Wort provokativ als Titel trägt: Am Samstag feierte Die Neger in den Münchner Kammerspielen Premiere.

Man nehme ein Stück über Schwarze, die für Weiße eine Szenerie nachspielen, in der ein Neger eine weiße Frau ermordet. Dann fügt man groteske Masken hinzu, legt eine langsam schmelzende Wachsfigur in die Mitte der Bühne, untermalt das Ganze ab und zu mit Hip Hop und paff hat man das kontroverseste Stück des Jahres produziert. Johan Simons ist sich bewusst, in welche Situation er sich begibt. Und so beginnt das Programmheft zur Inszenierung mit einer Vorrede, in der sich der Regisseur zu erklären versucht:
Schwarze halten noch immer als Sündenbock für die Abgründe der weißen Seele her. Jean Genet hat dieses Stück, wie er selbst betont, für ein weißes Publikum geschrieben. Diesem sollte der Spiegel vorgehalten werden. Dieses Publikum wollte er provozieren, indem ihm die rassistischen Klischees vorgeführt werden, mit denen Weiße Schwarze denunzieren, ausbeuten und unterdrücken. Er hat das Stück für schwarze Schauspieler geschrieben, die in einem sehr komplexen Maskenspiel diese Klischees verhöhnen sollten.”

Foto: JU / Ostkreuz

Ein Weißer, der ein Drama gegen die Weißen schreibt, welche von schwarzen Schauspielern verkörpert werden. So weit, so radikal. Nichtsdestotrotz riefen die Premieren in Wien und Hamburg Proteste von Anti-Rassismus-Aktivisten hervor. Unangebrachte Blackfacing-Motive auf den Plakaten, so hieß es, waren der Grund dafür.
Es gab also jede Menge Beef, wie schon 30 Jahre zuvor. Bereits 1983 hatte der große Peter Stein das plakative Stück zur Aufführung gebracht, Genet selbst billigte damals die Besetzung durch weiße Schauspieler. Auch in der Simons’schen Inszenierung sehen wir unter den langen Kleidern der Darsteller die weiße Haut hervorblitzen. Nur Felix Burleson, ein niederländischer Schauspieler mit Wurzeln in Surinam, bildet die Ausnahme.
Blöderweise hat er fast keinen Text. Meist beobachtet er die Clownerie um sich herum mit einem Lächeln und gibt ab und an zustimmende Töne von sich. Am vorherrschenden rassismusgeprägten Wortdurchfall (“Die Neger sollen sich vernegern”) stört er sich wenig.


Spätestens mit der Sichtung der Masken hat sich der rassistische erste Eindruck aber in Luft aufgelöst. Nichts anderes als eine Maskerade, eine Karikatur kann dieses Schauspiel sein, tragen doch alle Darsteller lachhaft eiförmige Masken auf dem Kopf. Einige sind mit eindeutigen Zeichen versehen, sodass die Identifikation leichtfällt, so hat der Richter (Edmund Telgenkämper) das Gesetzbuch mit Klettverschluss auf seinen Schädel gepappt, und der Missionar (Hans Kremer) trägt im erzbischöflichen Stil das Kreuz auf dem Haupte. Wie das Ensemble überhaupt seine Luftzufuhr sicherstellt, das bleibt unbekannt. Stattdessen ergehen sich alle in kolonialem Geschwafel und ziehen gesichtslos und puppenartig ihre Bahnen über die Bühne, während der Corpus Delicti sich langsam plätschernd ins Liquide zurückverwandelt.

Burleson und Stefan Hunstein teilen sich die Rolle des Spielleiters Archibald. Eine Rolle in zwei Körpern, das kann nicht gut gehen. Die schockierend schlechte Kostümierung von Hunstein wirkt, als hätte sich der Schauspieler in der Garderobe noch schnell selbst die braune Latexmaske ins Gesicht geklebt, die Augen glitzern unpassend blau hervor, die Glatzenkappe sitzt nicht richtig. Gewollt oder ungewollt schlecht, das ist hier die Frage.
Es hat was von Inception. Hautfarben-Inception. Weiße, die Schwarze spielen, die Weiße und Schwarze spielen, die Weiße ermorden – Was für ein Chaos. Ein hochstilisiertes zwar, aber dennoch Chaos. Verhaltener Applaus, hauptsächlich für die körperliche Belastung, der sich die Schauspieler erfolgreich gestellt haben. Man hätte dann doch lieber ihre Gesichter als diese Masken gesehen.

Weitere Vorstellungen am 20. und 30. November, Karten ab 8 Euro
Informationen und Spielplan unter www.muenchner-kammerspiele.de