Freitag, 31. Januar 2014

Imagearbeit: "Judas" an den Münchner Kammerspielen

Abstecher aus der Hölle

Steven Scharf. | © Judith Buss / Münchner Kammerspiele
                                                       
            
Das Parkett in den Münchner Kammerspielen bleibt heute abend komplett leer, lediglich der Balkon ist geöffnet. Erst als die Bühne langsam von Kerzen erleuchtet wird, ist klar, weshalb: Steven Scharf kauert mehrere Meter über dem normalen Bühnenboden auf einer winzigen Plattform, den Rücken zum Publikum, offensichtlich nackt. Sind das Striemen von Peitschenhieben auf seinem Rücken? Bleibt das eine One-Man-Show? Kann das überhaupt was werden? Die Antwort ist jedesmal: Ja.

  Vorstellen wird dieser Mann sich nicht. Erst am Ende, wenn er zurück in die Hölle steigt, wird er sagen: "Ich bin Judas." Zunächst erzählt er aber. Von seinem Leben, bevor er ein Jünger wurde, von seiner Beziehung zu Jesus, vom Verrat. Als er zu der Stelle mit den 30 Silberlingen kommt, prasselt ein gewaltiger Schauer von Schutt und kleinen Steinen auf ihn nieder. Da zuckt man schon innerlich zusammen, angenehm ist das bestimmt nicht. Das sind die Positionen sicher auch nicht, in denen Steven Scharf den Abend verbringt. Zunächst hockend, eingekrümmt, dann wie der Gekreuzigte selbst, am Schluss steigt er langsam, sich windend, die lange Leiter wieder herab, weg von Gott.

  "Wenn hier jemand die Sünden der Welt auf sich genommen hat, dann bin ich das!" stellt Judas klar und eröffnet dem Zuschauer die grundlegende Problematik des Themas: Damit Jesus Gottes Plan vollenden konnte, musste er, Judas, ihn verraten und damit Schande auf sich nehmen. Man solle sich vorstellen, wendet er sich an die Zuschauer, der eigene Name sei so in den Schmutz gezogen, dass niemand ihn mehr ausspräche, so verteufelt, dass er für immer mit dem Verrat verbunden sei. Kontrastreich ist die Art, wie Judas sich artikuliert:
einfach, klar, so gar nicht, wie man sich ein Geschöpf aus der Hölle vorstellt. Es ist gewissermaßen ein Versuch des Aufpolierung seines Images. Er kann seinen Namen nicht reinwaschen, aber er kann erklären. Mal trotzig, mal Reue zeigend.

  Dass dieser Abend so unter die Haut geht, liegt allein an Steven Scharf, der den doch teilweise recht faden Zeilen von Lot Vekemans' Text so viel Leben einhaucht, dass man sich unweigerlich selbst fragt: Habe auch ich einen Judas in mir? Die Intensität seines Spiels ist einmalig, berührend und befremdlich zugleich. Darf ich überhaupt Mitleid mit einem Menschen wie Judas haben? Oder mich gar mit ihm identifizieren? Nochmals: Ja.
Es gibt an diesem Stück rein gar nichts auszusetzen. Applaus, Kammerspiele, ihr könnt es doch noch.

Link zu Judas in den Münchner Kammerspielen


Premiere am 19.12.2012, Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Johan Simons
Bühne: Bettina Pommer
Dramaturgie: Julia Lochte 


Donnerstag, 30. Januar 2014

Ab in den Müll - "Moses - Ein Mash-up Musical" im Volkstheater

Gott ist ein Penner mit Dreadlocks


     Simon Solberg ist ein Meister der Bühne. Muss mal so gesagt werden. Diese Konstruktion, die er ins Volkstheater verfrachtet hat, wirkt mächtig, monumental und vor allem ziemlich gefährlich; unter all den alten Autoreifen, Plastiktüten und Kleidern erkennt man eines dieser Klettergerüste aus Tau, das jeder gute Spielplatz haben sollte. An dem hangeln sich die Schauspieler entlang, teils in schwindelerregender Höhe. Aber zunächst hangeln sie nicht, sie sitzen nur. Gekleidet in Müllsäcke, Klebeband, der Poncho von Max Wagner sieht verdächtig nach Omas alter Wolldecke aus. Schnell wird klar: Der Müll spielt eine tragende Rolle. Aus dem werden nämlich immer neue Kostüme gebastelt, Joanna Kapsch wickelt sich Alufolie um den Kopf und spielt ägyptische Prinzessin und Paul Grill gibt den Pharao mit Nippelpatches aus Tape, der uns seine Wünsche nach Eiswürfeln in Pyramidenform singend vorträgt, denn ja, es ist ein Musical. Über die Geschichte von Moses (Johannes Schäfer), der sein Volk aus der Knechtschaft der Ägypter befreien will. Rappend.

Joanna Kapsch, Paul Grill, Max Wagner, Jean-Luc Bubert | © Arno Declair / Volkstheater München

  Zugegeben, es klingt nicht halb so gut wie es ist. Aber was Solberg da auf die Bühne bringt, ist einmalig. Ein wilder Mix aus Improvisationskomik (Max Wagner als dreadlocktragender Gott ist im wahrsten Sinne des Wortes anbetungswürdig - pun intended), Kapitalismuskritik, Publikumsbezogenheit und wirklich guter Musik. Die Heuschrecken sind statt des Getiers die geldgierigen Banker der Neuzeit, die traurig



Hier oben weht ein rauer Wind
Keiner hört uns wenn wir traurig sind
Gott, wenn du mich hörst sag mir
ob es 'nen Himmel gibt für Banker


singen und zu Strobolicht tanzend ihr goldenes Kalb anbeten. Es ist eine wilde, laute, basswummernde Party, die einen Tränen lachen lässt. Die Witze kommen Schlag auf Schlag, man hat kaum Zeit, Luft zu holen, und klappt das doch mal, pustet Jean-Luc Bubert dir Federn in die Fresse. Erst nach der Vorstellung wird einem klar, wie subtil klug dieses Stück doch ist, bei allen Blödeleien, bei allem Konfettiblut. Es ist die schleichende Wahrheit, die es innehat, es erzählt von der Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen, von den seltsamen Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, aber das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern auf fast schon bösartig verspottende Art und Weise.

  "Moses war für mich stets der Befreier, der sein Volk durch die Wüste und das Rote Meer schleppt" sagt Solberg über die Hauptfigur seines Stückes. Denn obwohl die Inszenierung vor Situationskomik und Witz nur so sprüht, ist die Story an sich doch recht tragisch. Ein Findelkind, aufgewachsen am ägyptischen Königshof, führt seine Gefährten jahrelang durch die Wüste, hungernd, zweifelnd, verzweifelnd. Da sind Konflikte innerhalb und außerhalb der Gruppe vorprogrammiert. Johannes Schäfer behält den nötigen Ernst seiner Rolle bei und spielt souverän den innerlich zerrissenen Anführer, der zufälligerweise auch noch wirklich gut rappen kann.

  Textsicherheit ist sicher nicht die Stärke der Truppe, das kann ich nach mittlerweile dreimaligem Besuch (Das Stück ist wirklich gut!) mit Überzeugung sagen. Aber es sei ihnen verziehen, denn alle haben Spaß, und sie schaffen es sogar, das schwierigste Publikum zu begeistern. Und, das muss man nochmal hervorheben, alle haben überraschend gute Stimmen, es darf also tatsächlich "Musical" genannt werden.

  Schade, dass die Gäste hauptsächlich aus Sonderschülern zwischen dreizehn und sechzehn Jahren zu bestehen scheinen, die von übereifrigen Religions- und Ethiklehrern zum Theaterbesuch verdammt worden sind. Das Publikum miteinzubeziehen bringt nämlich nur etwas, wenn es zumindest ein bisschen in der Thematik bewandert ist und nicht zum ersten mal etwas von den zehn Geboten hört. Da verzweifelt selbst Gott dann ein wenig.


Premiere am 28.10.2012
Regie und Bühnenbild: Simon Solberg
Kostüme: Sara Kittelmann
Video: Joscha Sliwinski




Vorhersehbares Ende - "Dantons Tod" im Volkstheater

Keine Revolution ohne das Volk


Jean-Luc Bubert, Pascal Fligg | © Arno Declair / Volkstheater München

 Es ist eigentlich sehr traurig, dass die Schlichtheit, mit der Christian Stückl Büchners „Dantons Tod“ im Volkstheater inszeniert, so erfrischend wirkt. Kein Einsatz von Videomaterial, kein komplettes Umschreiben des Textes, sogar die Kostüme sind ganz im Stile der Französischen Revolution gehalten. Dazu die Bühne: Das Skelett eines Hauses, dessen durch die Scheinwerfer angestrahlten Querbalken die Atmosphäre eines in die Jahre gekommenen Gefängnisses verströmen. Einen Tisch gibt es, einen Stuhl, eine Karaffe mit Wein und dazu Gläser. Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier hat ganze Arbeit geleistet, die Kargheit ist so drückend, dass man Pascal Fligg zujubeln möchte, als er als Georg Danton auf die Bühne stürmt und das Ende der Tyrannei und Armut fordert. 

Sohel Altan G., Pascal Riedel, Pascal Fligg, Leon Pfannenmüller | © Arno Declair / Volkstheater München





 Überhaupt ist dieser Pascal Fligg ein wahres Schauspielwunder: während seine Komparsen ihr eher schnörkelloses Spiel fortsetzen, besticht er mit seiner grandiosen Mimik, sein Zorn ist so echt, dass man zurückzuckt, als er auf Robespierre losgeht. Den Genussmenschen Danton nimmt man ihm sofort ab, so wie er auf der Bühne steht, seinen Wein trinkt und die Moralvorstellungen von Gegenspieler Robespierre, gespielt von Jean-Luc Bubert, anzweifelt. Büchners Text fließt flüssig, auch wenn man doch manchmal das Gefühl hat, dass einige Kürzungen mehr in den Monologen von Vorteil gewesen wären. Die Eindampfung auf neun Rollen bietet zwar den Schauspielern die Möglichkeit, sich voll und ganz auf die Ausarbeitung ihrer Rolle zu fokussieren, dennoch fehlt das Volk – das im Originaltext neben Danton und Robespierre den dritten Hauptakteur darstellt –  und damit auch der Eindruck, dass ein Ende der Tyrannei wirklich dringend nötig ist. Letztendlich hört man über die Tragödien, die sich für die Unterschicht abspielen, nur Geschichten aus zweiter Hand.

 Das Ende des Stückes hat aber einen gewissen Gänsehautfaktor: wie Danton, Camille, Philippeau und Lacroix dastehen und einer nach dem anderen abgeht, um zur Guillotine geführt zu werden, das ist so bedrohlich und berührend, dass man schaudert. Und als Robespierre die ihn verspottende Lucile zu Boden drückt und „Es lebe die Republik!“ schreit, fällt der Vorhang, und zurück bleibt Begeisterung: So muss ein Ende aussehen und nicht anders! Man fragt sich nur: warum denn erst jetzt so energiegeladen? Denn bei aller Einfachheit fehlt auch irgendwie die Dynamik: Der etwas mehr als 180 Minuten andauernde Abend hat durchaus seine Längen, einige Monologe sind zu lang, die anderen zu monoton vorgetragen. Enttäuschend ist auch Sohel Altan G., der den Camille Desmoulins eher farblos verkörpert und sich nicht ganz der Komplexität seiner Figur bewusst ist. Leon Pfannenmüller als Philippeau dagegen spielt abwechslungsreich, humorvoll, er passt perfekt zu Pascal Fligg und seinem Danton. Erfreulich kraftvoll gibt sich auch Kristina Pauls als Dantons Gattin Julie, die Georges  amouröse Eskapaden wortlos hinnimmt, ihren Mann bei seiner Revolution unterstützt und sich am Ende ohne zu Zögern das Leben nimmt und so einen abwechslungsreichen Kontrast zu den sich ans Leben klammernden Männern darstellt. Mara Widmann als Camilles Ehefrau Lucile zeigt trotz kleiner Rolle eine gelungene Gespaltenheit zwischen kleinem Mädchen und liebender Gemahlin, die sowohl amüsant als auch bedrückend ist.
  
  Stückls Adaption des Büchner-Klassikers stellt zufrieden, wenn auch nicht vollends. Man wird den Eindruck nicht los, dass man einer Upperclass-Gesellschaft beim Schwadronieren über das Leid in der Dritten Welt zusieht. Im Gegensatz zu seiner Inszenierung von Ödön v. Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald", die in jedem Fall als außergewöhnlich gut angesehen werden kann, ist „Dantons Tod“ eine eher fade, wenn auch für Büchnerfans recht sehenswerte Angelegenheit.



Premiere am 25.10.2012
Regie: Christian Stückl
Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier