Mittwoch, 4. Juni 2014

Neue Freuden, neue Schmerzen

Moosach macht Oper - sogar die bekannteste Oper der Welt. Die Zauberflöte steht auf den Programm. Zauberhafte Stimmen, aber der Sinn der Inszenierung geht im wahrsten Sinne des Wortes flöten.
Das Grüppchen Solisten, das sich da in Moosach versammelt, ist mehr als famos. Eine blutjunge, dennoch stimmgewaltige Königin der Nacht (Astrid Mathyshek), drei bezaubernde Damen (Susanna Proskura, Florence Losseau, Anna Gassler) und ein herzallerliebstes Paminchen (Simone Yael). Und dann eben noch Papageno (Benedikt Eder), als wuschelköpfiges Studentenbürschlein mit Fahrrad und Lederrucksack in Szene gesetzt, der alles und jeden mit seinem Bariton an die Wand singt. Was für eine Stimme! Der kann niemals älter als dreiundzwanzig sein und singt schon jetzt besser als alle Münchner Gesangsstudenten zusammen. Da sehen viele andere eher blass aus, sogar Jason Papowitz, seines Zeichens Urviech der Oper und schon überall mal gewesen. Einen wirklich hübschen Tenor hat er, aber für den “stattlichen Jüngling” Tamino ist er ein bisschen zu alt. Und zu amerikanisch. Und Flöte spielen kann er auch nicht. Aber naja, der Gesang stimmt.



Bleibt die Frage: Warum nur geben sich all diese weltbühnenerprobten, hochbegabten, zu Höherem berufenen Menschen mit einer dermaßen mittelmäßigen Inszenierung zufrieden? Hat denn da niemand mal auf den Tisch gehauen und gesagt: “Werte Frau Regisseurin, ich habe bereits im [hier Opernhaus einsetzen] gespielt, studiere seit Jahrzehnten Gesang und hab sowieso relativ viel Ahnung von dem was ich mache, warum fabrizieren Sie hier so einen sinnlosen [hier skatologischen Ausdruck einsetzen]?”
Ist die Lage auf dem Markt so schlecht, dass sich der Jungsänger mit so etwas zufrieden geben muss?
Man hätte, theoretisch, eine qualitativ hochwertige Bühnenshow abliefern können. Die finanziellen Mittel waren ganz offensichtlich da, Hilfe vom Profi gabs auch – Monika Staykova vom Bayerischen Staatsschauspiel war für die Kostüme zuständig -, und die Musiker brillierten ebenfalls. Dennoch schafft es die Regisseurin Kristina Wuss, diese potentiell fantastische Aufführung zu wenig mehr als Laientheater zu degradieren.

Zwischen gefühlt allen in Moosach wohnenden Mittvierzigern, die schon immer einmal auf der Bühne stehen wollten und nun als Statisten die Gelegenheit dazu bekommen, bewegen sich nun Sarastro (Frits Kamp), seine Schergen und ein paar Kinderlein auf dieser kleinen Bühne, umgeben von lächerlichen und verwirrenden Requisiten. Was soll zum Beispiel dieser singende Plastikhummer, den man Papageno zusammenhangslos überreicht? Oder dieser blöde Medizinball, der ständig von irgendwem rumgeschleppt werden muss und auch keinen erkennbaren Sinn hat? Fand hier so etwas wie eine Leitmotivdarstellung statt? Soll das eine Art Running Gag sein? Und warum steht da immer dieser große Kerl mit dem leuchtenden Ikealampenschirm? Wieso zieht sich Monostatos (Siddique Eggenberger) den Reifrock der 1. Dame an? Und weshalb taucht auf einmal ein überdimensionaler Rabe auf der Bühne auf? Die Liste der Warums ist endlos. Antworten gibt es kaum. Selbst die Mitwirkenden scheinen nicht so recht Ahnung zu haben, was sich ihre Regisseurin denn bei dem ganzen Trara so dabei gedacht hat. Man bekommt allgemein das Gefühl, dass diese Inszenierung ihre offensichtlichen Schwächen durch möglichst viele, möglichst sinnfreie Requisiten übertünchen möchte. Es ist schon bezeichnend, wenn zehn Theaterwissenschaftler im Publikum sitzen und keiner den Sinn dieser alternativdramaturgischen Mittel erkennt. Nichts passt zusammen, nirgendwo ist eine klare Linie zu erkennen.



Dem Publikum gefällt’s trotzdem. Die Kinder liegen zwar schon nach der ersten halben Stunde müde auf Mamas Schoß, aber als Sarastros Löwe – an dieser Stelle Chapeau, gutes Kostüm – auftaucht und zwinkernd durch die ersten Reihen schlendert, werden die Kleinen ganz schnell wach. Mir fällt’s wie Schuppen von den Augen: eine rein für Kinder ausgelegte Zauberflöte wäre doch optimal gewesen! Denen wäre nämlich jedes sinnlose Detail wurscht und Menschen in Tierkostümen kommen immer gut an. Und die Eltern sind stolz, dass sie Schackeline und Jeremy-Pascal ein Stück Kultur näherbringen können.
Für Opernliebhaber und Menschen, die auf Sinn Wert legen, ist die Moosacher Fassung nicht geeignet. Zu sehr ist man gewöhnt an barocke Staatsoperästhetik und den berühmten Roten Faden, der sich durch jede gute Inszenierung zieht. Allen anderen ist die Zauberflöte in der Moosacher Fassung schlussendlich nur aufgrund dieser grandiosen Sänger zu empfehlen. Talent reißt’s halt doch raus.

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