Montag, 28. April 2014

Kafkaeskes Teufelsrad

Mit Der Prozess füllt Andreas Kriegenburg seit fast sechs Jahren regelmäßig die Kammerspiele, endlich ist die mittlerweile zum Klassiker avancierte Inszenierung wieder dort zu sehen.
Kafka ist durchaus nicht jedermanns Sache. Trotzdem wird niemand an der Geschichte des Josef K., dem ohne Grund der Prozess gemacht wird, vorbeigekommen sein. Danke, Deutschunterricht.
Es ist eigentlich eine recht simple Idee: Josef ist Prokurist in einer Bank und wird am Morgen seines 30. Geburtstages noch im Nachthemd von zwei Wächtern festgenommen. Von nun an dreht sich die ganze Geschichte um diese Situation, wobei nie klar wird, ob es tatsächlich einen Prozess gibt; vielmehr verstrickt sich K. immer mehr in seine Überlegungen und Vorstellungen, was mit ihm passieren könnte. Sein Verständnis des Rechtssystems, in dem er zu leben glaubte, wie auch die wenigen Beziehungen zu seinen Mitmenschen, werden nach und nach zerstört. Dieses Einzelschicksal, das so erschütternd wie seltsam ist, endet mit seiner Ermordung. Bis zum Ende wird K. keine Ahnung haben, weshalb er angeklagt wurde.
Ein mutiger Zug, diesen fragmentarischen Roman Kafkas als Bühnenstück darzubieten. Doch es ist auch eindeutig dem Bühnenbild zu verdanken, dass diese Inszenierung so gelungen ist. Dieses, übrigens ebenfalls von Kriegenburg selbst entworfen, besteht aus einer in jeglichen Winkel dreh- und wendbaren Scheibe, an der Mobiliar festgeschraubt ist, sodass der Zuschauer wie aus der Vogelperspektive auf das Geschehen blicken kann (siehe Bild).


Ein Kraftakt für die Darsteller, denn die müssen einen festen Stand – beziehungsweise Sitz – einnehmen, um nicht von diesem kriegenburg’schen Teufelsrad zu rutschen. Aber nun wissen sie, wie es ist, in einem Bett zu liegen, während dieses senkrecht an einer Wand befestigt ist. Oder im 90°-Winkel auf einem Stuhl zu sitzen. Ein Erlebnis für alle Beteiligten.
Auch die Aufteilung der Figuren ist brillant umgesetzt. Statt fester Rollen springt der Text zwischen den Schauspielern hin und her, so sieht man letztendlich mindestens zwei Josef K.s, einen in vogelperspektivischer Position auf dem Rad und einer im normalen Stand auf der Bühne. Die spärlichen Auftritte diverser Frauenfiguren werden durch das Anziehen eines Kleides konstatiert, dennoch behalten alle DarstellerInnen ihr einheitliches Kostüm an: Anzug, glatte Frisur mit Seitenscheitel und dünner Schnurrbart. Es ist eine Mischung aus Einheit und Unterschied, aus Traumwelt und Realität, eine Inszenierung, die sich, ganz wie Kafkas Roman, dem Verständnis immer wieder entzieht und, das muss man zugeben, bisweilen viel Konzentration benötigt.


Die schauspielerische Leistung ist herausragend, selten gab es ein Ensemble, das so aufeinander eingespielt war. Kammerspiele-Urgestein Annette Paulmann glänzt mit einem fast zwanzigminütigen, wasserfallartigen Monolog und vermag es tatsächlich, damit nicht zu langweilen, und die leider mittlerweile nicht mehr fest angestellte Katharina Marie Schubert verleiht K.s Nachbarin, Fräulein Bürstner, eine zarte Weiblichkeit, die auch der obligatorische Oberlippenbart nicht zerstören kann.
Leicht verdaulich ist der dreistündige Abend sicher nicht. Aber dennoch ein Genuss, sowohl für Kafka-Fans, als auch für die Kafka-Skeptiker unter uns. Da geht man dann doch lieber hin als zum Deutschunterricht.


Regie und Bühne: Andreas Kriegenburg
Kostüme: Andrea Schraad
Dramaturgie: Matthias Günter
Informationen und Spielplan unter www.muenchner-kammerspiele.de

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