Dienstag, 1. April 2014

In your face: "Faust" im Volkstheater

Halt's Maul, Ulrike!

 

Lang, lang ist's her, da wurde ein junger Bonner, selbst ausgebildeter Schauspieler, vom Volkstheater als Gastregisseur engagiert, um Goethes Faust einen neuen Anstrich zu verpassen. Seit 2008 sind ein paar Jährchen vergangen, und Simon Solberg taucht immer noch im Volkstheater auf. Faust war nur der Anfang, danach folgten in kurzen Abständen Die Jungfrau von Orleans, Einer flog über das Kuckucksnest und zuletzt 2012 Moses - Ein Mash-up Musical. Wie gut, dass sich da eine deutliche Entwicklung im Regietalent zeigt.

Justin Mühlenhardt, Stephanie Schadeweg, Andreas Tobias, Jean-Luc Bubert | © Gabriela Neeb/VT München

Denn dieser Solberg'sche Faust ist vor allem eins: überladen. Die Einstiegsidee ist ja gut. Faust (Jan Viethen) ist der Leiter einer Forschergruppe im CERN, die sich auf die Suche nach der Formel, "die die Erde im Innersten zusammenhält", gemacht hat. Er verzweifelt immer mehr an sich selbst und verpasst es auch gefühlte fünfzig Mal nicht, vor dem Publikum über sein unnützes Studium der "Philosophie, Juristerei und Medizin / Und leider auch Theologie" zu jammern. Die Forschung steckt in einer Sackgasse, und Grete (Barbara Romaner) will ihn auch nicht.
Hilfe ist auf dem Weg. Erst als nackender Pudel, dann als Osama Bin Laden, schlussendlich sogar als gekreuzigter Jesus gibt Jean-Luc Bubert einen genüsslich Zitate salbadernden, hauptamtlichen Mephisto. Grete und Gollum haben offenbar gemeinsame Vorfahren, als sie ihr Verführungsgeschenk in Empfang nimmt, reißt sie es an sich und schreit "Mein Schatz!". Und es werden RAF-Witzchen eingebaut ("Halt's Maul, Ulrike!"). Der Zuschauer sieht sich einem wilden, ausgelassenen, schwer verständlichen Spektakel gegenüber, wobei der Großteil der Konzentration darauf verwendet werden muss, die eingebauten Anspielungen und Scherze zu so ziemlich jedem aktuellen Thema dekodieren zu können. Sogar Friedrich Liechtenstein ("Sehr sehr geil. Supergeil.") hat es in den Text geschafft.

Jan Viethen, Jean-Luc Bubert | © Gabriela Neeb/VT München

Die wenigen ruhigen Szenen gehen im vorherigen Klamauk leider völlig unter. Zu sehr ist man auf Witz und Wahnsinn fixiert, als dass man Mitleid mit der verlassenen Grete hat oder mit der Wimper zuckt, wenn sich Faust am Ende das Hirn rauspustet.
Die Bühne aber ist schlichtweg ein Meisterwerk. Mit Hilfe von Sebastian Hannak hat Solberg ein variabel verwendbares Kunstwerk aus Müll, Pflanzen und Styropor geschaffen, das die Darsteller in unendlichen Kombinationen auseinandernehmen, zusammenbauen und sogar anziehen können, eine "Recycling-Bühne" sozusagen.
Fazit: Wer sich sehr sehr wach fühlt und sich noch zusätzlich ein paar Dosen Energydrink mit in die Vorstellung nimmt, der dürfte größtenteils mitbekommen, was auf der Bühne abgeht. Einige Witze sind auch verdammt gut. Aber Goethefans dürfte das kalte Grausen ereilen und für die Ü40-Generation könnte alles ein wenig zu laut und zu chaotisch sein. Dann lieber in Moses - Ein Mash-up Musical gehen, der Inszenierung sieht man nämlich Solbergs vierjährige Reifezeit an.

Link zu Faust im Volkstheater

Premiere am 02.10.2008
Regie: Simon Solberg
Bühne und Kostüme: Sebastian Hannak

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